Die Auspfändung

Es ist nichts darüber bekannt, wo sich das Originalgemälde heute befindet. In der “Illustrirten Zeitung” aus Leipzig heißt es in der Ausgabe 684 vom 9. August 1856: “‘Die Auspfändung’, eines der großartigsten Bilder Flüggen’s ist im Besitze des Mr. John Dickinson in London. Wenn gewöhnlich der Anblick von Scenen wie die hier dargestellte im Leben einen widrigen Eindruck machen, so ist die hier gemalte wol geeignet einen erhebenden auf den Beschauer hervorzubringen. Das Haupt der Familie, ein Komponist, dessen Beruf an allen Merkmalen im Bilde sofort zu erkennen, seiner ganzen Erscheinung nach ein durch und durch geistiges Wesen, steht inmitten der ihn umgebenden Bedrängnisse unerschüttert in volle Seelenruhe. Sein höchster Reichthum, seine Familie, kann ihm nicht genommen werden. Er zählt die Häupter seiner Lieben, und es fehlt ihm keines. Eins seiner Kinder hält er auf dem Arme, das sich ängstlich an ihn schmiegt. Seine Gattin vertraut auf Gott und ihren Gatten, dem sie mit Zuversicht in’s Auge sieht. Ein älterer Knabe steht wie zur Vertheidigung hinter seinem Vater, die Geige und seines Vaters Kompositionen schützend. Möbel und andere Gegenstände sind bereits von ihrer gewohnten Stelle gerückt; auch die Wandverzierungen sind herabgenommen, und nicht ohne Rührung erblickt man an der staubigen Wand die lichtere Stelle, wo das Kreuz mit dem Heilande hing. Die Magd des Hauses bittet den Schreiber, die Geräthschaften, die sie so treu gepflegt, schonend zu behandeln. Der Gerichtsbeamte sieht mit Indignation auf den harten Gläubiger, welcher in gespreizter Stellung am Tische sitzt, Alles um sich herum sein nennend, und obwol er den Schuldschein in der Hand hält, ist er doch betroffen von der Seelenruhe und dem Glücke der von ihm bedrängten Familie. Er wendet den Blick ab und man sieht ihm an, daß er bekennen muß: es gibt im Leben Reichthümer, die er bisher nie kannte und die von allen ruchlosen Händen unantastbar sind. Ihm gegenüber, auf der andern Seite der Scene, sitzt die Großmutter mit einem schlafenden Kinde im Schooße; das Alter hat sie schwach gemacht, sie überläßt sich ihrem Schmerze. Neben ihr steht die Wiege, worauf das Kreuz liegt, das von der Wand genommen. Dies sind die Umrisse dieser großartigen Komposition, die an dramatischer Wirkung einzig dasteht; sie wurde zu den ersten Kunstwerken der während der Industrieaufstellung veranstalteten ersten allgemeinen deutschen Kunstausstellung in München gezählt.”

Mit Wucherer und Künstler betitelter Holzstich als Beilage der “Illustrirten Zeitung” Leipzig vom 1. Januar 1856, nach dem Originalgemälde von Gisbert Flüggen Die Auspfändung, vermutlich 1854.

Am 1. Januar 1856 gab es als Beilage einen Holzstich, der offensichtlich nach dem Originalgemälde von Gisbert Flüggen Die Auspfändung gefertigt, aber mit dem Titel Wucherer und Künstler versehen wurde. Der Begleittext weist aber auf die Die Auspfändung hin: “In unserm Bilde wird uns die armselige Stube eines jungen Musikers und Komponisten, offenbar von guter Familie und feiner Erziehung, vorgeführt, der durch enthustastische Liebe zur Kunst in Schulden gerathen, endlich ausgepfändet wird. Der Wucherer, der seine Rechte so erbarmungslos geltend macht, sitzt mit brutaler Härte im Vordergrund – sich den Henker um das Wehklagen des Gesindels kümmernd – denn bekanntlich zählt bei einer nicht geringen Zahl von Leuten jeder zum Gesindel, der kein Geld hat. Hinter ihm sehen wir den Auktionator, den gepfändeten Hausrat notirend, gleichgültig gegen die Bitten einer alten Magd, die ihn um Schonung der Herrschaft anfleht, während der Diener schon die Kleider u. s. f. hinausschleppt und der jüngere gebildetere Gerichtsbeamte im Hintergrunde mit erwachendem Mitgefühl die Sache ansieht. Zur Linken sehen wir den Musiker selbst, bleich, die Spuren überwachter Nächte im geistreichen Gesicht, doch fest und ungebeugt, ein sich fürchtendes Kind im Arm haltend, stehen, während der älteste Knabe die gerettete Geige und ein Heft mit Vaters Kompositionen in der Hand sich an ihn drückt und scheu zu dem Beamten hinblickt, und seine Frau, abgehärmt, aber schön, sich an seine Brust wirft, offenbar ihn der ungeschwächten Fortdauer ihrer Liebe in Noth und Tod versichernd. Auf der äußersten Linken sehen wir ihre Mutter, die das ruhig schlafende jüngste Kind in ihre Obhut genommen hat. Diese Frau sowie ihre Tochter bringen mit ihrem Ausdrucke unzerstörbarer Liebe und Treue eine wohlthätige Versöhnung, eine Art Triumph des Herzens in das Bild, das meisterhaft in der Gesammtwirkung, ausführlich und befriedigend im Einzelnen der Charakteristik genannt werden muß. Besonders noch soll das vortreffliche Kolorit gerühmt werden, das an die besten alten Niederländer erinnert und doch ganz selbständig ist. Gewiss kann ein solches Familiendrama nicht besser vorgeführt werden.”